Geschichten – Schreiben hilft mir meine Welt zu verstehen

Dramatic shattered glass pattern against a clear blue sky, symbolizing fragility and resilience.

oder Schreiben hilft mir meine Welt zu verstehen

Ein persönlicher Einblick von Sofia Solér


Manchmal fragen mich Leser, warum ich schreibe. Die Antwort ist so einfach wie komplex zugleich: Ich schreibe, um zu verstehen.

Verstehen – das ist ein großes Wort. Es klingt fast zu gewichtig für das, was ich täglich tue, wenn ich mich an den Schreibtisch setze und Welten erschaffe, Charaktere zum Leben erwecke oder in längst vergangene Zeiten reise. Aber genau das passiert: Mit jeder Geschichte, die ich schreibe, verstehe ich ein Stück mehr von der Welt – und von mir selbst.

Wenn Erlebtes zu Geschichten wird

Es gibt Momente im Leben, die sich nicht einfach abhaken lassen. Erfahrungen, die unter der Haut bleiben, Gefühle, die zu groß scheinen für den Alltag. Für mich war das Schreiben schon immer ein Weg, diese Momente zu durchdringen – nicht um sie zu vergessen, sondern um sie zu verstehen.

Wenn ich an „Der Zeitenspiegel“ denke, weiß ich genau, welche persönlichen Fragen mich beim Schreiben bewegt haben: Was bedeutet es, zwischen zwei Welten zu stehen? Wie fühlt es sich an, wenn die Vergangenheit plötzlich gegenwärtig wird? Diese Fragen entstanden nicht im luftleeren Raum – sie wurzeln in meinen eigenen Erfahrungen, in Momenten der Verwirrung und des Suchens.

Johanna, meine Protagonistin, erlebt etwas, was wir alle kennen: das Gefühl, nicht ganz zu wissen, wer wir wirklich sind. Nur dass bei ihr die ganze Sache etwas dramatischer ausfällt – sie findet sich plötzlich im mittelalterlichen Köln wieder. Aber im Kern geht es um etwas sehr Menschliches: die Suche nach Identität, nach dem eigenen Platz in der Welt.

Abstrakte Konzepte in greifbare Geschichten verwandeln

Das Faszinierende am Schreiben ist, dass es mir erlaubt, abstrakte Gedanken und Konzepte in etwas Greifbares zu verwandeln. Zeit – ein Konzept, das uns alle beschäftigt, aber so schwer zu fassen ist. Wie erklärt man das Gefühl, dass manche Momente ewig dauern, während Jahre wie im Flug vergehen?

In meinen Geschichten wird Zeit zu etwas Physischem: zu Spiegeln, die Jahrhunderte überdauern, zu Symbolen, die durch die Zeit wandern, zu Menschen, die sich über die Grenzen ihrer Epochen hinweg begegnen. Plötzlich kann ich Zeit anfassen, riechen, sehen – sie bekommt eine Gestalt, die ich verstehen kann.

Das Gleiche gilt für Gefühle wie Einsamkeit, Sehnsucht oder die Angst vor dem Unbekannten. In der realen Welt sind das oft diffuse Empfindungen. In Geschichten werden sie zu Charakteren, zu Situationen, zu Konflikten, die gelöst werden können – oder zumindest verstanden.

Die heilende Kraft des Erzählens

Es gibt etwas Therapeutisches daran, Erlebtes in Geschichten zu verwandeln. Nicht im Sinne von „das war schlimm, jetzt schreibe ich es weg“, sondern eher wie ein Kaleidoskop: Ich nehme die Fragmente meiner Erfahrungen und ordne sie neu an, bis ein Muster entsteht, das Sinn ergibt.

Manche meiner schwierigsten Lebensphasen finde ich in meinen Romanen wieder – nicht als direkte Kopie, sondern verwandelt, umhüllt von Magie und Metaphern. Die traurige Realität wird zu einer Geschichte über Verlust und Wiederentdeckung. Die Verwirrung über die eigene Identität wird zu einer Zeitreise. Die Angst vor Veränderung wird zu einem Abenteuer.

Und das Wunderbare daran: Wenn ich diese Geschichten schreibe, erkenne ich plötzlich Muster, die mir im realen Leben verborgen geblieben sind. Ich verstehe, warum bestimmte Situationen mich so bewegt haben. Ich sehe Verbindungen zwischen Ereignissen, die Jahre auseinander liegen.

Schreiben als Dialog mit der Welt

Jede Geschichte ist auch ein Dialog – mit mir selbst, mit meinen Erfahrungen, aber auch mit der Welt um mich herum. Wenn ich über das mittelalterliche Köln schreibe, führe ich Gespräche mit der Geschichte. Wenn ich Fantasy-Elemente einwebe, unterhalte ich mich mit dem, was jenseits des Sichtbaren liegt.

Meine Leser werden oft Teil dieses Dialogs, ohne es zu wissen. Sie schreiben mir E-Mails über Gefühle, die meine Geschichten in ihnen ausgelöst haben, über eigene Erfahrungen, die sie wiedererkannt haben. Und plötzlich verstehe ich meine eigenen Geschichten noch besser – durch die Augen anderer.

Die Wahrheit in der Fiktion

Das Paradoxe am Geschichtenschreiben ist: Manchmal erzähle ich in erfundenen Welten die größten Wahrheiten. In der Realität sind wir oft gefangen in Konventionen, in dem, was „normal“ oder „akzeptabel“ ist. In Geschichten kann ich die Wahrheit über menschliche Erfahrungen erzählen, ohne mich rechtfertigen zu müssen.

Johannas Reise durch die Zeit ist erfunden – aber das Gefühl, zwischen verschiedenen Welten zu leben, kennt jeder. Tildas Kampf mit ihrer Identität ist Fantasy – aber der Schmerz des Nicht-verstanden-Werdens ist zutiefst real.

Mein Kompass in einer komplexen Welt

Am Ende ist das Schreiben für mich zu einem Kompass geworden. Wenn die Welt zu komplex wird, wenn Emotionen zu überwältigend sind oder wenn abstrakte Konzepte mich verwirren, setze ich mich hin und schreibe. Ich erschaffe Welten, in denen diese Komplexität einen Sinn ergibt.

Und das Schönste: Mit jeder Geschichte verstehe ich nicht nur meine eigene Welt besser – ich helfe vielleicht auch anderen dabei, ihre zu verstehen. Denn am Ende sind wir alle Johanna, auf der Suche nach unserem Platz zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen dem, was war, und dem, was sein könnte.

In Geschichten finde ich die Sprache für das Unaussprechliche. Und das ist vielleicht das größte Geschenk, das mir das Schreiben gemacht hat.


Wenn auch du Geschichten liebst, die mehr sind als nur Unterhaltung – Geschichten, die bewegen und zum Nachdenken anregen – dann schau gerne bei meinen anderen Beiträgen vorbei oder folge mir für mehr Einblicke in die Welt des Geschichtenerzählens.

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